Es ist eine gefährliche Sache, Frodo, aus deiner Tür hinauszugehen. Du betrittst die Strasse, und wenn du nicht auf deine Füsse aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.“ – Herr der Ringe (Bilbo zu Frodo)
RAUS AUS DER KOMFORTZONE
Was uns Outdoor-Begeisterte alle eint ist die Tatsache, dass wir durch diese Türe hinausgehen – im reellen und metaphorischen Sinne. Wir schreiten durch die Tür und lassen unsere Komfort-Zone hinter uns, begeben uns in ein Gebiet, auf dem wir nicht wissen was mit uns geschieht. Wir nehmen unsere selbst abgesteckten Grenzen und schieben sie Stück für Stück heraus.
Viele warnen uns davor. Bevor ich nach Neuseeland aufbrach, hörte ich es von allen Seiten: „Das schaffst du doch nie!“ „Trekking? Alleine? Das ist doch viel zu gefährlich – Lass das bleiben“. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber bereits die nötige mentale Stärke, um mich durch diese Aussagen nicht vom Weg abbringen zulassen. Ich konnte ihnen den Pessimismus aber auch nicht verdenken. Bevor ich zu einer 5-monatigen Trekkingreise aufbrach dauerte meine längste Wanderung 9 Stunden. Da sind Sprüche, wie „Das schaffst du doch nie“ gar nicht mal soweit hergeholt, könnte man meinen. Was die Pessimisten aber nicht sahen: Ich war fest entschlossen.
Im Grenzgebiet
Bereits während dem Abitur kam dieser Wunsch auf einfach mal auszubrechen. Diesen Wunsch teilen sicherlich die meisten mit mir. Doch ich wollte noch weiter gehen, ich wollte mich in die Grenzgebiete meiner Psyche begeben. Wie würde ich mich verhalten, wenn ich vor existenziellen Problemen stehen würde? Wenn ich nachts bei Gewitter in einem Zelt irgendwo in der Wildnis auf der anderen Seite der Welt liegen würde, ohne zu wissen wo ich hin muss geschweige denn, wo ich Wasser herbekommen soll.
In genau diese Situationen wollte ich mich bringen. Zwischen Selbstzerstörung und dem Wachsen an schwierigen Aufgaben. Auf diesem schmalen Grat wollte ich wandern. Wenn ich das anderen Menschen erzähle ernte ich meist verwirrte Blicke á la „Ist der eigentlich bescheuert“ bzw. „Oh, er ist wirklich so bescheuert“.
WOHIN DIE FÜßE EINEN TRAGEN
Ich würde gerne noch einmal auf das obige Zitat zurückkommen, nun aber auf den zweiten Teil:
Du betrittst die Strasse, und wenn du nicht auf deine Füsse aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.
Eine der größten Lehren, die ich bisher beim Trekking verinnerlichte: Es stimmt, manchmal, da weiß man nicht wohin einen die Füße tragen. Die Planung für Neuseeland sah so aus: Ich wollte 3 Tage in Queenstown bleiben und dann auf verschiedenen zusammengewürfelten Wegen Richtung Süd-Westen wandern.
Ich kam an, blieb 3 Tage in Queenstown und als ich aufbrechen wollte, erfuhr ich dass die Tracks mit denen ich beginnen wollte wegen Überschwemmung geschlossen waren. Kennst Du dieses „zerbrechendes Glas“-Geräusch, das in Filmen abgespielt wird, wenn sich der Traum des Protagonisten in Luft auflöst. Denke es Dir gerade an dieser Stelle zu meiner Erzählung hinzu.
Ich stand nun da am Lake Wakatipu und wusste nicht wohin. Mir kam ein Wanderer entgegen, großer Trekkingrucksack, selbstgeschnitzter Wanderstock. Wir kamen ins Gespräch. Er war auf dem Te Araroa unterwegs, der sich 3200 Km durch Neuseeland windet. Den Großteil hatte er bereits hinter sich. Er berichtete von anspruchsvollem Trekking, gefährlichen Flußquerungen, verträumten Hütten und vielen neuen Freundschaften. Er fragte mich: „Why don’t you just start walking?“ – Eine berechtigte Frage. Vielleicht weil ich es aus Deutschland nicht gewohnt war, einfach mal loszulaufen. Zuhause wusste ich immer wohin, wusste immer wie lange, wusste was mich erwarten würden.
Why don’t you just start walking? Die Frage hat sich bei mir eingebrannt. Er hatte recht, noch am gleichen Tag entschloss ich mich den TA zu beginnen, zwar nicht ganz vom südlichsten Punkt, aber in diesem Moment ging es auch nicht um die Überlegung einen lupenreinen Thru-Hike hinzulegen. Es ging einfach nur darum loszulaufen.
Dies war vielleicht der erste Moment in meinem Leben, in dem ich wirklich nicht auf meine Füße aufgepasst habe. Und ja, ich wusste in diesem Moment auch wirklich nicht wohin sie mich tragen würden. Doch war es deshalb gefährlich aus der Tür hinauszugehen oder habe ich es gar bereut?
Ich bereute in diesem Moment nur eines: Dass ich nicht früher durch diese Tür gegangen bin.