Die ersten Schritte sind immer etwas ganz besonderes. Die ersten Schritte im Leben, die ersten Schritte auf eigenen Beinen, oder in meinem Fall: Die ersten  auf einer langen Reise. Wie bereits in meinem Beitrag „Wie das Abenteuer begann – Ein Outdoor Plädoyer“ erwähnt, startete ich vom Lake Wakatipu aus auf dem Te Araroa, dem längsten Fernwanderweg Neuseelands. Der erste Teilabschnitt war der Motatapu Track, der bei Macetown startet und bis nach Wanaka führt.

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By Shaundd [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Ich startete meine Trekking Tour in Arrowtown einem verschlafenen ehemaligen Goldgräberdorf. Jedes mal, wenn ich an das Dörfchen zurückdenke kommt mir immer wieder der gleiche Gedanke: Der perfekte Ort zum Altwerden. Das kleine Dorf punktet vor allem durch den schönen Arrow River, welcher auch dessen Namensgeber ist.

Da das Freedom Campen hier in Ortsnähe ,wie an so vielen Stellen in Neuseeland verboten ist, suchte ich mir eine Stelle auf der anderen Flussseite. Da dies meine erste Nacht unter dem Sternenhimmel Neuseelands werden sollte, war ich besonders vorsichtig was mein Lager anbelangte.

Ich baute mein Zelt im hohen Gras auf und deckte es mit einigen Büscheln ab. Mein Abendessen nahm ich auf einem großen Fels direkt am Fluss zu mir. Selten durfte ich solch einen ruhigen Moment genießen. Ich saß einfach da, lauschte dem Wasser und spürte, wie die Last der vergangenen Tage, der ganze Stress, so langsam – ganz langsam – von mir abzufallen begann. Es gab Instant Nudeln zu Abend und ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass dies mein Abendessen für die kommenden 4 Monate werden sollte.

Dann rief das Zelt, bzw. die Sandfliegen vertrieben mich. Jeden verdammten Abend begann das gleiche Rennen, wer schafft es schneller ins Zelt: die Sandfliegen oder Ich. Nun, sagen wir es so, ich wachte meist mit starkem Juckreiz auf…

Typisch Deutsch im Horrordorf

Aufwachen, Zelt trocknen, frühstücken – Trekking Alltag. Es gab leckeres Müsli mit *trommelwirbel* Wasser, Müsli mit Flusswasser – daran musste ich mich erst noch gewöhnen. Aber hey, ich war glücklich. Trotz Juckreiz, einer leichten Erkältung und Müslipampe.

Ich musste zurück durch den Fluss, durch Arrowtown Richtung Macetown. Dann kam mir allerdings eine blöde Verletzung dazwischen. 10 Tage bevor ich nach Neuseeland geflogen bin, hatte ich bemerkt, dass mein Fußnagel, dank zu enger Wanderschuhe, am großen rechten Zeh eingewachsen war. Ich hatte es eigentlich schon lange vorher bemerkt, aber wollte es verdrängen in der Hoffnung es würde sich bessern.. Dummheit tut eben weh. Ein Besuch beim Arzt brachte die Bestätigung – ab ins Krankenhaus.

 

Nach der kleinen OP sagte mir der Chirurg, dass ich mindestens 14 Tage kein festes Schuhwerk tragen dürfe. Als ich ihm erzählte, dass ich in 10 Tagen zu einer 5-monatigen Trekking Tour aufbrechen wollte, klopfte er mir auf die Schulter und sagte ganz trocken: „Oh, das ist schwierig. Naja, Viel Erfolg.“ – Danke…

Diese Verletzung holte mich nun wieder ein, da sich mein Zeh entzündet hatte. Also ab zum Arzt in Arrotown. 4 Stunden, 160 $ und eine obskure Behandlung später, war ich wieder bereit für den Track.

 

Der Weg nach Macetown, war unspektakulär, ich verlor zweimal die Orientierung und einmal die Antwort auf die Frage, warum ich mir das überhaupt antat. Die Erde drehte sich im Verhältnis zu meinem Schritttempo einfach viel zu schnell, so dass die Nacht bereits hereinbrach, bevor ich die Zeltfläche überhaupt erahnen konnte.

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Kopflampe auf und weiter geht’s. Es war unheimlich und ungewohnt. Irgendwann kam ich dann nachts in Macetown (dem Horrordorf) an, zumindest stand das so auf dem Schild vor mir. Ich hätte mich vorher informieren sollen: Macetown war kein kleines Dorf, sondern eine Art Freiluftmuseum mit vielen leerstehenden Hütten aus der Goldgräberzeit.

Ich suchte den Zeltplatz noch circa. 30 Minuten, bis ich verzweifelt aufgab. Alleine das zeigt wieder einmal, was es bedeutet deutsch zu sein. Ich war am Arsch der Welt, in einem verlassenen Kaff mit unendlicher Weite und was mache ich? Suche die zum Campen gekennzeichnete Fläche. Die Geister der Goldgräber, die hier einst lebten, lachten bestimmt hämisch.

Tag 3 – Aus Fehlern lernt man

Neue Energie durchströmte mich – es war endlich wieder hell. Schnell weg von diesem Ort, an dem man auch den ein oder anderen Horrorfilm hätte drehen können. Wie sich herausstellen sollte, war es ein Glück, dass ich bereits so früh aufbrach.

 

Tag 3 sollte dann auch gleich einer der einprägsamsten meiner gesamten Trekking Reise werden. Ich sollte vorher noch erwähnen, dass ich mich an den ersten Tagen in Neuseeland sehr überlegen fühlte. „Eine Karte für’s Trekking? Ach wofür denn, ich hab doch die grobe Karte im Kopf, der Rest ist ausgeschildert“ – Ein Satz, den man nur einmal sagt.

Am Morgen verlief die Tour locker und einfach an bzw. in einem Fluss. Irgendwann ging es dann leicht bergauf, man kam jedoch immer mal wieder herunter zum kühlen Nass. Ich nutzte die „“viele““ Zeit, die ich zu haben glaubte zum Fotografieren und Essen. Laufen, ausgedehnte Pause, Laufen, „oh, was für ein schöner Vogel – 3 Fotos, weiterlaufen.

So ging das ein paar Stunden lang. Die Tour wurde langsam anspruchsvoller, stets in Hanglage – mein linkes Knie freute sich. Plötzlich ging es bergauf, steil bergauf. Ich musste 3x nachschauen, aber doch, das war der richtige Weg. Die Wasserreserven noch einmal aufgefüllt –  ich führte insgesamt 2 1/2 Liter Wasser mit mir – und dann ging es hoch hinaus.

Am Anfang verlief die Trekking Tour noch entlang eines Flusses…

 

Es war eine starke physische Belastung, besonders da ich das Gewicht auf dem Rücken doch noch nicht ganz gewohnt war. Irgendwann konnte ich den Gipfel dann über mir erahnen. Laut der groben Karte in meinem Kopf sollte irgendwo hinter diesem die Roses Hut liegen. Super, dachte ich, dann ist meine „Zeitplanung“ ja aufgegangen. Actioncam raus, erstmal ein Video über den anstrengenden Tag gedreht und dass ich es ja gleich geschafft habe. Die Geister, sie lachten wieder hämisch.

Gipfelglück und Durst

Der Wind frischte auf. Als ich dem Gipfel entgegenstrebte erkannte ich, dass hinter dem „Gipfel“ noch ein weiterer Gipfel lag, aber deutlich weiter entfernt – Oh.

Um den Wind abzublocken zog ich meine Mütze und die Hardshelljacke über. Zwar erkannte ich nun, dass es eng mit dem Tageslicht werden würde, doch das eigentliche Problem wurde mir eher schlagartig klar. Ich zog an meinem Schlauch, der zum Wasserbeutel führte, in Erwartung einer Ladung feuchten Plastikgeschmacks. Dann war da dieses Geräusch, was auch beim Trinken per Strohhalm das Ende des Genusses ansagt. – Oh Nr.2.

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Ob der Weg zum wirklichen Gipfel nun wirklich so weit war oder ob es mir nur so vorkam, kann ich nicht beurteilen. Zumindest fühlte es sich für mich wie eine komplette Tagestour an. Da war sie wieder, diese Unsicherheit, die einen taumeln lässt. Ich war körperlich erschöpft, psychisch angeknackst und mein Zeh  verursachte brennende Schmerzen.

 

Müsliriegel bekam ich nicht mehr runtergeschluckt, so trocken war mein Mund, Wasserquellen waren weit und breit nicht zu sichten. Der berühmte Philosoph und Hobbyfußballer Oliver Kahn prägte einst das Mantra „Weiter, Immer weiter“

Er hat es auf den Punkt gebracht. Ich war rein emotional noch nicht bereit für eine solche Belastung, das merkte ich. Ich begann laut vor mich her zu singen, um mich selbst voranzutreiben. Als das nicht mehr wirkte, wendete ich mich an eine höhere Ebene.

Ja, ich rief Gott an. Laut und mit deutlichen Worten rief ich nach ihm. Jetzt wird manch einer natürlich sagen: Pff, die kleine Trekkingtour und er ruft schon nach Gott – lächerlich. Aber denjenigen sei eins gesagt: Jeder hat seinen persönlichen Mt. Everest – Beim Trekking, im Beruf oder im Sozialleben. Das hier war zumindest mein persönlicher K-2.

Schon bevor ich den Gipfel erreichte hatte ich mich psychisch wieder gefangen. Und dann war es endlich so weit, ich erspähte die Roses Hut. – Freude, stieg in mir auf, um dann gleich wieder von dem Gedanken an Wasser erstickt zu werden. In diesem Moment wusste ich nicht, dass die Hütten einen Regenwassertank führten. Ich rechnete also schon mit einer Nacht ohne Wasser, mit noch größerer Angst vor dem, was danach kommen würde.

Also, packte ich meine Kamera aus und stellte auf 97-fachen Zoom. Ich suchte jeden Zentimeter des Tals nach Wasser ab und tatsächlich, da war etwas. Aber war es ein Bach oder ein kleiner Weg? Ich betrachtete das folgende Bild für 5 Minuten:

Ich kam zu der Einsicht, dass es ein Bach sein müsse. Das Problem: es bedeutete einen weiteren Umweg. Ich rannte den langen Abhang förmlich herunter, die Quittung dafür erhielt ich am nächsten Tag. Ich traf zum Glück schon früher auf den kleinen Bach und begann sofort mit dem Wasserfilter aus ihm zu trinken. In solchen Momenten begreift man erst, wie traurig und tragisch die Wasserverschwendung in unserer Gesellschaft ist. Ein wichtiges Gut, das es nicht zu verschwenden gilt.

 

Als ich in der Rose Hut ankam, war ich alleine – nur die Nacht leistete mir Gesellschaft. Ich öffnete die Tür setzte mich auf einen Matratzenplatz und schaute mich um. Plötzlich brachen die ganzen Emotionen über mich herein und ich konnte nicht anders als zu weinen – Vor Glück, Dankbarkeit, Freude, Erleichterung und Schmerz. Ich war so erschöpft, dass ich noch im Sitzen einschlief.

Auch wenn ich es an diesem Tage noch nicht erkennen  sollte, so war dies doch genau was ich suchte. Ich habe meine Grenzen hinausgeschoben und bin an mir selbst gewachsen. Diese Tour bereitete mich auf vieles vor, was noch kommen sollte. Hier geht es zum zweiten Teil.

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